Die Hochmeisterkirche im neuen Jahrtausend

»Speiseklänge« der Gemeindejugend beim Festival »Rhapsody in Hochmeister«

Die rückläufigen Kirchensteuereinahmen beeinflussen die Gestaltung des Gemeindelebens auch nach der Jahrtausendwende. Um nicht in einen Teufelskreis aus Angebotsreduzierung und daraus folgenden weiteren Kirchenaustritten zu geraten, müssen die jeweiligen GKR-Mitglieder innovative Lösungen für die entstehenden Probleme finden.


Schon 1999 geben die langjährigen Kirchenmusikerinnen Kathrin Freyburg und Diemut Ophardt ihre jeweils 50%-Stellen auf. Der HochmeisterChor wird daraufhin in einen sich selbst tragenden Verein überführt und wird weiter von Diemut Ophardt geleitet. Die Gemeinde stellt kostenlos Probenräume und bietet Auftrittsmöglichkeiten. Auch Kathrin Freyburg bleibt der Gemeinde als Solistin und Gesangslehrerin erhalten. Sie lehrt im Gemeindehaus; ihre Schülerinnen treten häufig in Gottesdiensten auf.
Die Haushaltslage lässt eine erneute Besetzung einer vollen Kirchenmusikerstelle nicht mehr zu. Von Oktober 1999 bis November 2005 übernimmt die Hochmeistergemeinde stattdessen 35 Prozent der Stelle des Kantors der Grunewaldgemeinde, die mit Günter Brick besetzt ist. Da er nun sonntags in zwei Kirchen für die musikalische Gestaltung zuständig ist, beginnen die Gottesdienste in Halensee fast 10 Jahre lang bereits um 9:30 Uhr, die in Grunewald dagegen erst um 11:00 Uhr. Die Hochmeistergemeinde profitiert von der Kooperation in Form von Auftritten der in der Grunewaldgemeinde angesiedelten Berliner Kantorei und des Berliner Motettenchores sowie des Kammerorchesters, die unter Bricks Leitung häufig in den Gottesdiensten musizieren.
Zeitgleich kommen Christian und Katrin Hagitte auf freiberuflicher Basis als Musiker in die Gemeinde. Sie haben zunächst nur kleinere Aufgaben z. B. in der Kindermusik oder als Ferienvertretung. Die Zusammenarbeit mit den Hagittes ist so fruchtbar, dass die Gemeinde nach Bricks Weggang 2005 die nun finanzierbare halbe Stelle komplett an die beiden Musiker überträgt. Insbesondere Christian Hagitte gibt der Gemeinde mit seiner Experimentierfreudigkeit und seinem Engagement ein eigenes kirchenmusikalisches Profil. Hochkarätige Kammerkonzerte und Kantatengottesdienste kombiniert mit Gospel-, Choral- oder anderen Workshops sind Markenzeichen der Kirchenmusik in der Hochmeisterkirche. Für kleine und große Kinder gibt es außerdem Flötengruppen unter der Anleitung von Harriet Fischlin.

Zum Tischabendmahl gedeckter Altar

Dieses musikalische Profil der Gemeinde ist ein positives Beispiel dafür, dass die finanzielle Not nicht notwendigerweise zur Reduzierung des Angebotes in der Gemeinde führen muss. Die neue Vielfalt ist auch Impuls für das Kulturfestival Rhapsody in Hochmeister, das seit 2007 jährlich im Sommer in der Hochmeisterkirche stattfindet. Eine Woche lang wird dann die Kirche unangefochtenes kulturelles Zentrum in Halensee. Bei meist freiem Eintritt musizieren dann entweder Gruppen oder Künstler aus der Gemeinde, oder es finden Lesungen, Filmvorführungen und Konzerte von Kunstschaffenden aus der gesamten Region Berlin/Brandenburg statt. Im Anschluss lädt die Kirchenschänke zum Verweilen ein, und die Besucher können die Klanginstallationen in verschiedenen Räumen der Kirche erkunden.

Die künstlerische und organisatorische Leitung des Festivals liegt bei Christian Hagitte und Pfarrer Joachim Krätschell. Letzterer tritt 2005 die Nachfolge von Pfarrer Andreas Neumann an, der nach Potsdam-Drewitz wechselt. Bereits seit 2002 ist Pfarrerin Ursula Zohren-Busse in der Gemeinde tätig. Im Februar 2002 startet die Hochmeistergemeinde das Projekt Gemeindeschwester in Halensee. Mit finanzieller Unterstützung des schon in den 90er Jahren gegründeten Fördervereins der Hochmeisterkirche kann Christa Stelzl, eine staatlich anerkannte Altenpflegerin, gewonnen werden. Sie kümmert sich um die seelische, geistige und geistliche Betreuung pflegebedürftiger Menschen.

Damit versucht die Gemeinde das zu leisten, was ein staatliches System nicht leisten kann. Dinge, deren Notwendigkeit nicht in Pflegestufen messbar ist: Zeit zum Zuhören, Trost spenden oder ein gemeinsames Gebet.
2004 haben Zohren-Busse und Neumann das neue Team Diakonie des Kirchenkreises Wilmersdorf an die Hochmeistergemeinde geholt. Die Stelle der Gemeindeschwester in Halensee wird in das Team Diakonie integriert, der Aufgabenbereich erweitert. Christa Stelzl beendet im Juni 2006 ihre Mitarbeit. Seitdem ist Ulrike Haag als Gemeindeschwester ohne Schwesternhaube, aber mit Herz und Zeit in Halensee unterwegs, besucht Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, und vermittelt, wo Bedarf ist, den Kontakt zur Diakoniestation Wilmersdorf. Ihre Stelle kann nicht aus Kirchensteuereinahmen finanziert werden. Über einen jährlichen Kirchgeldbrief und den Förderverein der Hochmeistergemeinde werden daher Spenden für diese wichtige Arbeit gesammelt.

Für den Pilgerweg durch Wilmersdorf »camino evkiwi« wird die Bestuhlung der Kirche völlig entfernt. Blick auf das Kreuz im Mittelpunkt des Kirchraums.

Die Tendenz zu mehr Laienbeteiligung bei der Gestaltung von Gottesdiensten und Andachten hat sich auch im neuen Jahrtausend fortgesetzt. So finden in jedem Jahr mehrere Passionsandachten statt, die von einer Gruppe von Gemeindegliedern um Pfarrer i. R. Kurt Moritz vorbereitet und gestaltet werden. Ein Freitag in dieser Andachtsreihe ist stets für ein Tischabendmahl vorgesehen. Die Bestuhlung im Kirchraum wird dafür fast vollständig entfernt und in der Mitte, um das Boderkreuz, herum wird eine große viereckige Tafel errichtet, um welche sich die Besucher versammeln. Dort wird dann ein Abendmahl mit Brot und Wein, Liturgie, Einsetzungsworten und Segen gefeiert und so in besonderer Form des Mahls gedacht, das Jesus mit seinen Jüngern am Gründonnerstag eingesetzt hat.

Ausschließlich von ehrenamtlichen Gemeindegliedern und Christian Hagitte werden auch die Taizé-Gottesdienste gestaltet, die mehrfach im Jahr stattfinden. Auch hier wird die flexible Bestuhlung genutzt, um eine kreisförmige Sitzordnung um das Bodenkreuz in der Mitte des Kirchenraumes zu schaffen.

Die Jugendarbeit der Gemeinde hat sich mittlerweile zu einem Schwerpunkt der Gemeindearbeit herausgebildet. Ausdruck dafür ist z. B., dass seit 2007 die Gemeindejugend für die Gestaltung der Nachtwache zum 9. November verantwortlich ist. Dieser wichtige Abend wird seitdem mit aufwendigen Theatercollagen gestaltet und vom Kreisjugendchor (Leitung: Christian Hagitte) begleitet. Unter der Leitung von Sabine Maaß werden dabei sowohl historische Themen wie das Schicksal der aus NS-Deutschland geflohenen Emigranten erarbeitet, als auch Schwerpunkte bei der Auseinandersetzung mit heutiger rechtsradikaler Gewalt gesetzt.

Das Vertrauen der Gemeinde in ihre Jugendlichen zahlt sich auch im dauerhaften Engagement der Beteiligten aus. Mehrere GKR-Mitglieder sind ehemalige Mitglieder der Jungen Gemeinde oder hatten selber Kinder dort und sind nun wieder in der Hochmeistergemeinde aktiv.

Unabhängig von Schwerpunkten will die Hochmeistergemeinde auch bei knapper Kassenlage ein Ort für alle Altergruppen und ein Treffpunkt der Generationen sein. Das Bild einer Gemeinde, die „von der Wiege bis zur Bahre“ begleitet, bleibt bestehen. Selbstverständlich gibt es deswegen auch vielfältige Angebote für Kinder. Dazu gehören zum einen Miniclub und Kindergarten. Auch wenn letzterer, wie fast alle evangelischen Kitas in Wilmersdorf, 2008 in die Trägerschaft der Leben mit Kindern (LemiKi) gGmbH des Kirchenkreises Wilmersdorf überführt wurde, bleibt er doch der Kindergarten der Gemeinde. Das evangelische Profil der Einrichtung wird durch die regelmäßige Präsenz von Pfarrer Krätschell, durch Familiengottesdienste und durch die monatliche Kinderkirche garantiert.

Neben den großen Familiengottesdiensten gibt es mit Hochmeister for Family seit 2004 ein monatliches Angebot für die ganze Familie, zunächst mit Pfarrer Neumann, seit 2005 mit Pfarrer Krätschell. Um 11:30 Uhr, nach dem Hauptgottesdienst, beginnt dieser kurze Gottesdienst gemeinsam um den Altar mit Begrüßung, Lied, Gebet und Kinderglaubensbekenntnis. Dann wird feierlich die Bibel hereingetragen und das Evangelium gelesen. In Gruppen, nach Alter geordnet, wird dann vom Kleinkind bis zu Konfirmanden und Eltern das Thema des Sonntags besprochen und bearbeitet. Der gemeinsame Abschluss mit Fürbitten, Segenslied, Segen und Amenlied findet dann wieder um den Altar statt.

Um vom kirchlichen Leben in Halensee angemessen zu berichten, ist die Gemeinde seit 1999 mit der Hochmeisterzeitung neue Wege gegangen. Das alte Gemeindeblatt mit einer Auflage von 2000 Stück ist nach dem Zufallsprinzip von Gemeindegliedern in ihren Häusern verteilt worden und hat ansonsten zur Abholung in Kirche und Gemeindehaus ausgelegen. Die Hochmeisterzeitung (Auflage 11 000) wird an jeden Haushalt im Gemeindegebiet verteilt, also auch an die nicht-evangelischen. Alle zwei Monate informiert die Gemeinde darin über Gottesdienste und Veranstaltungen und liefert darüber hinaus Artikel zu kirchlichen und theologischen Themen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kann sich dieses Erfolgsprojekt, welches einige Nachahmer gefunden hat, durch Spenden und Anzeigeneinahmen selber tragen.

Kirche in der Stadt und Kunst in der Kirche! Dieses Motto der Neugestaltung des Kircheninnenraums von 1988 prägt bis heute das Selbstverständnis der Gemeinde. Geistliche, diakonische und kulturelle Angebote bilden die drei Hauptsäulen des Gemeindelebens. Hauptaufgabe bleibt die Weitergabe der Frohen Botschaft. Dies geschieht zuallererst in den verschiedenen Gottesdienst- und Andachtsformen in der Hochmeisterkirche. Darüber hinaus wollen wir als Gemeinde diese Botschaft auch in unserem sozial-diakonischen Engagement, z. B. in Jugendarbeit und im Gemeindeschwesterprojekt, und in unseren kulturellen Angeboten, wie dem Kulturfestival, leben. 100 Jahre nach der Einweihung der Hochmeisterkirche bauen wir so weiterhin mit Gottes Hilfe Kirche in Halensee.

 

Fortsetzung: Der Bau des Hochmeisterpavillons 2020 bis 2022