Die Neunziger Jahre

Blick vom Altar auf die Orgelempore

Der Umbau der Kirche ist ein Aufbruchsignal für die Gemeinde. Offen und einladend wie der Kirchraum soll die ganze Gemeinde sein. Die verändernde Ausstrahlung des Kirchraumes drückt sich auch darin aus, dass zahlreiche Veranstaltungen, die früher im Gemeindehaus stattfanden, nun in die Kirche verlegt werden. Am offensichtlichsten ist dies beim Gemeindefest zu beobachten, welches früher im Saal und auf den Gängen des Gemeindehauses veranstaltet wurde. Unter dem neuen Namen „Saus & Braus“ wird es seit den neunziger Jahren - zunächst sogar zweimal jährlich - im Kirchraum gefeiert. Das Fest beginnt um 10:00 Uhr mit einem gemeinsamen Gottesdienst, darauf folgt eine musikalische Matinée mit dem Gemeindechor und anschließend wird gemeinsam im Kirchraum gespeist, getrunken und gelacht. Bei den kleinen Aufführungen von Kita-, Miniclub- und Flötenkindern ist die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt und voller Jubel. Eine solche Nutzung der Kirche wäre vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen. Auch dass der GKR nun immer in der rechten Seitennische der Kirche tagt anstatt im Sitzungszimmer des Gemeindehauses und dass jeder Konfirmandenjahrgang einmal im Kirchraum übernachtet, ist Ausdruck einer neuen lebendigen Beziehung der Gemeinde zu ihrer Kirche.


Tischabendmahl in der Hochmeisterkirche

Zusätzliche Andachten sollen den Kirchraum auch außerhalb der Gottesdienstzeiten für die Halenseer zugänglich machen. Zu den Mittagsgebeten, die jeweils dienstags und freitags von einem Pfarrer und später von Ehrenamtlichen um 12 Uhr zur Marktzeit gestaltet werden, kommt in den neunziger Jahren die sogenannte AbendZeit hinzu. Sie wird ausschließlich von Laien, meistens aus dem GKR, vorbereitet und geleitet und ist Ausdruck des liturgischen und theologischen Selbstbewusstseins einer neuen Generation in der Gemeindeleitung. Seit Dezember 1996 findet diese Andacht montags, mittwochs und freitags jeweils um 19:00 Uhr in der linken Kirchennische statt. Intern erhält sie schnell den Namen AbendZeit-Nische. Das Kirchencafé erwartet jeden Dienstag ab 15:00 Uhr seine Gäste in der rechten Seitennische.

Auch im sonntäglichen Hauptgottesdienst treten die Laien aus dem GKR nun stärker in Erscheinung. Kirchdienste, Lektorentätigkeiten und Austeilung beim Abendmahl werden von jeweils zwei GKR-Mitgliedern übernommen. Diese Neuerung ist nicht nur Ausdruck des gelebten Priestertums aller Gläubigen, sondern leider auch Konsequenz aus den weiterhin rückläufigen Kirchenmitgliederzahlen. Denn damit verbunden gehen auch die Kirchensteuereinnahmen erheblich zurück, was sich in den 90er Jahren stark bemerkbar macht. Von ursprünglich 3 Angestellten im Gemeindebüro bleibt Mitte des Jahrzehnts eine Küsterin übrig. Nach ihrem Eintritt in den Ruhestand kann nur noch eine halbe Stelle wieder besetzt werden. Ein hauptamtlicher Küsterdienst im Gottesdienst ist unter diesen Umständen nicht möglich. Die GKR-Mitglieder begreifen die Situation aber auch als Chance, das Ältestenamt mit einer stärkeren liturgischen Verantwortung im Gottesdienst zu verbinden.

1991 verlassen Pfarrer Langner und der erst 1988 in die Gemeinde gekommene Pfarrer Scheider Halensee. Als Nachfolger kommen mit Cornelia Benus-Dreyer und Andreas Neumann erneut zwei junge Pfarrer, welche die Gemeinde über viele Jahre prägen werden. 1995 wechselt Pfarrer Christoph als Superintendent nach Wittstock. In seiner elfjährigen Amtszeit an der Hochmeisterkirche hat er das Gemeindeleben nachhaltig gestaltet. Insbesondere der Umbau der Kirche bleibt mit seinem Namen verbunden. Gemeinsam mit seiner Frau bleibt er der Gemeinde und ihrer Wohnung im Gemeindehaus treu, seine Gespräche über Bücher finden weiterhin monatlich in der Kirche statt und finden Nachahmerveranstaltungen in anderen Gemeinden. Auch wenn die dritte Pfarrstelle seitdem nicht mehr besetzt wird, sind in den folgenden Jahren immer drei Pfarrer in der Hochmeisterkirche tätig, sei es als Pfarrer im Entsendungsdienst oder als Angestellte im diakonischen Bereich.

Kindersommerfest auf dem Hochmeisterplatz

Auch die Tradition der Nachtwache zum 9. November ist von Pfarrer Joachim Christoph ins Leben gerufen worden. Seit 1988 erinnert die Gemeinde jedes Jahr an diesem Tag unter dem Motto „Erinnern – Nicht vergessen“ an die Schrecken der Reichspogromnacht von 1938. Zahlreiche Zeitzeugen und Referenten sind im Laufe der Jahre zu Wort gekommen und haben mit ihren Beiträgen diesen Leitsatz mit Leben erfüllt. Über viele Jahre besteht eine Zusammenarbeit mit jüdischen Kantoren, die im Rahmen der Nachtwache das Kaddisch der Trauernden in der Hochmeisterkirche singen.

Mit der Einstellung der Sozialpädagogin Sabine Maaß als Jugendarbeiterin der Gemeinde entsteht 1989 ein neuer Arbeitsbereich. Zunächst gemeinsam mit Pfarrer Langner und anschließend mit Pfarrerin Benus-Dreyer entwickelt sie zeitgemäße Formen des Konfirmandenunterrichts und - in den neu gestalteten Jugendräumen im Erdgeschoss des Gemeindehauses - Angebote für Jugendliche, auch nach der Konfirmation in der Gemeinde aktiv zu bleiben. Diese Jugendarbeit ist von vornherein offen angelegt, richtet sich also nicht nur an ehemalige Konfirmanden, sondern hat immer den Anspruch, Angebot für alle Jugendlichen im Einzugsgebiet zu sein. So gibt es auch keine geschlossenen Gruppen für bestimmte Altersbereiche. Zu diesem Konzept gehört projektorientiertes Arbeiten, z. B. die Gestaltung von Jugendgottesdiensten, Theateraufführungen, gemeinsame Reisen zu Kirchentagen, Gedenkstätten, Segelreisen, aber auch das gemeinsame Feiern im Partykeller „Pi“ im Gemeindehaus. Das Vertrauen, das den Jugendlichen entgegen gebracht wird, indem sie früh Verantwortung in der Gemeinde als Konfa- oder Partyteamer bekommen, ist wesentlicher Bestandteil dieses Konzeptes.

 

Fortsetzung: Die Hochmeisterkirche im neuen Jahrtausend