Die Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges

Postkarte zur Einweihung am 11.9.1910

Der erste Pfarrer der Kirche am Hochmeisterplatz ist Pfarrer Hans von Schierstedt. Er ist zuvor Hofprediger in Athen gewesen und übt sein Amt an der Halenseer Kirche von 1910 bis 1929 aus. Schon zwei Jahre später bekommt die Halenseer Gemeinde eine zweite Pfarrstelle. Diese Stelle wird mit Pfarrer Albrecht Kaiser besetzt, der sein Amt bis 1951, also 39 Jahre lang, ausüben wird. Und 1917 erhält Pfarrer Max Ulich die neueingerichtete dritte Pfarrstelle in Halensee, die er bis zu seinem Tod im Jahre 1943 innehat.

Entscheidend geprägt wird die Halenseer Gemeinde und auch der Wilmersdorfer Gemeindekirchenrat durch Pfarrer Kaiser. Nach den Worten älterer Gemeindemitglieder zu urteilen, die ihn noch persönlich kennen gelernt haben, ist er, dessen Aussehen stark an Otto von Bismarck erinnerte, eine imposante und beliebte Persönlichkeit. Wie wir noch sehen werden, schreckt er auch vor unkonventionellen Neuerungen, etwa im Gottesdienst, nicht zurück.

Über die kirchliche und politische Einstellung von Pfarrer Kaiset erfahren wir aus einem Bericht der Wilmersdorfer Zeitung vom 20. April 1916. Pfarrer Kaiser hält im kirchlichen Verein Halensee eine Rede über das Thema: Wie können wir unsere Kirche noch volkstümlicher machen? Er stellt fest, dass das Interesse des Volkes an kirchlichen Dingen seit dem Ausbruch des Weltkriegs stark angewachsen sei und macht sich Gedanken darüber, wie dieses verstärkte Interesse nun gefestigt werden könne. Dabei macht er sich für eine eng mit dem Staat verbundene Volkskirche stark.

Und weiter gibt der Berichterstatter die Thesen Pfarrer Kaisers wieder:

Zeitgenössische Postkarte

„Die Kirche müsse die Fühlung mit dem Volke im großen und im kleinen suchen. Die Kirche müsse Verständnis für das Wohnungselend zeigen, energisch gegen die Gefahren der Unsittlichkeit vorgehen und, soweit es in ihren Kräften steht, für die Gesundheit des Volkes nach dem Kriege sorgen. Die Kirche müsse das öffentliche Gewissen werden auch für die Frage der Kindersterblichkeit, die in Deutschland immer noch außerordentlich hoch ist. Allem sozialen Elend müsse die Kirche unerschrocken entgegentreten, sie müsse volles Verständnis für alle die Fragen und Zweifel zeigen, die die Sicherheit des religiösen Glaubens zu bedrohen schienen. Dabei müsse die Kirche aber auf die Mitarbeit aller Kreise rechnen und könne sich mit einer nur zuhörenden Gemeinde nicht zufrieden geben...“ [11]

Besonders für jüngere Generationen ist es recht schwierig, sich vorzustellen, wie das kirchliche Leben vor 70 oder 80 Jahren aussieht und woran sich damals die Gemüter entzünden.

Konfirmationserinnerung
Einen interessanten Einblick in die frühe Zeit der Hochmeisterkirchengemeinde bietet ein Brief, der, unterzeichnet von 28 Bürgern aus Halensee, zur Verteidigung von Pfarrer Kaiser an den damaligen Oberkirchenrat D. Voigts aufgesetzt wird. Die Konflikte, um die es hier geht, spielen sich um die Jahreswende 1917/18 ab, also in der Endphase des Ersten Weltkriegs. Und so schreiben diese Halenseer Bürger am 14. Januar 1918:

„Wie wir in Erfahrung gebracht haben, sind unserem Herrn Pfarrer Kaiser vom Gemeindekirchenrat, aufgrund einer an diesen erfolgten anonymen und einer mit Namensunterschrift versehenen Anzeige, Vorhaltungen gemacht worden und seine Art der gottesdienstlichen Anordnung missbilligt und verboten worden.

Soweit uns bekannt geworden, handelt es sich um folgende Fälle: Gelegentlich einer besonderen Gedenkfeier für die für's Vaterland, auf dem Feld der Ehre, Gefallenen ließ Pfarrer Kaiser zum Andenken durch eine Sängerin einen Sologesang vortragen. Der Gesang war von größter Wirkung und Erbauung, und es war das allgemeine Urteil seinerzeit, dass solche stimmungsvollen Feiern hoffentlich noch öfter stattfinden würden. Keiner erlaubte sich, auch nur den Gedanken zu haben, dass die Kirche dadurch zum Konzerthaus werde, wie es in der Anzeige an den Gemeindekirchenrat heißen soll.

Weiter hat der Pfarrer Kaiser in der laut Agenda vorgeschriebenen Fürbitte für die Gemeinde auf Wunsch mehrerer Gemeindemitglieder auch die Fürbitte für die draußen Kämpfenden, für die Gefangenen usw. aufgenommen; auch hat Herr Pfarrer Kaiser, freudig begrüßt von der Mehrzahl der Gemeindemitglieder, eingeführt, dass das Vaterunser gemeinsam laut gebetet wurde.

Alles dieses wurde vom Gemeindekirchenrat verboten, weil solche Änderungen, wie aus der Anzeige hervorgehen soll, angeblich die Gemeinde verwirren.

Bei der Feier des Heiligen Abend (beim Absingen des Liedes Stille Nacht, heilige Nacht) und bei der Silvesterfeier (bei Abhaltung eines gemeinsamen stillen Gebets) ließ Pfarrer Kaiser die Lichter in der Kirche löschen (die Lichter der Weihnachtsbäume allein erhellten den Kirchenraum). Es war dies ein solch' an die Herzen packender und Ehrfurcht gebietender Vorgang, dass es geradezu empörend ist, hier davon zu reden, Herr Pfarrer Kaiser treibe einen Kultus, der in der protestantischen Kirche nicht geduldet werden könne. Geradezu als lächerlich muss es bezeichnet werden, wenn behauptet wird, dass durch das Löschen und Wiedereinschalten der Lichter sehr leicht Kurzschluss entstehen könnte.

Auch an den außergottesdienstlichen Amtshandlungen des Herrn Pfarrer Kaiser wird in wenig feiner Weise Kritik geübt. Es ist bekannt und höchst bedauerlich und schlagen nicht kirchlich gesinnte Leute gerade Kapital daraus, dass der erste Pfarrer zu Halensee (Anm.: gemeint ist Pfarrer Schierstedt)  sich von allen pfarramtlichen Tätigkeiten, außer Abhaltung des Gottesdienstes, zurückhält und offensichtlich in Herrn Pfarrer Kaiser einen Rivalen zu sehen vermeint. Es möge darauf hingewiesen werden, dass vor Amtsantritt des Herrn Pfarrer Kaiser das Gemeindeleben und vor allem das kirchliche Gemeinschaftsgefühl in Halensee ein sehr wenig erfreuliches war. Erst durch die unermüdliche und geradezu aufopfernde Liebe und Freude am Beruf und an der Gemeinde hat es Herr Pfarrer Kaiser verstanden, endlich eine größere Anzahl treuer Christen zusammenzubringen sowie den Kirchenbesuch auch in der Gemeinde Halensee zu wecken.

Herr Pfarrer Kaiser hat die Gottesdienste zu wirklichen Erbauungsstunden umgestaltet, und es ist unverkennbar, daß gerade seine Gottesdienste sich stets der regsten Beteiligung erfreuen.

Außerdem hat Herr Pfarrer Kaiser regelmäßige Bibelstunden, Missionsstunden, kirchliche Vorträge eingeführt. Er nimmt seinen Anteil an dem Kriegskinderheim, an der Ausbildung der Jugend und Konfirmanden usw.. Alles dies sind Einführungen, wofür die Gemeinde Herrn Pfarrer Kaiser nicht genug Dank sagen kann.

Unter allen Umständen bitten die Unterzeichneten ganz ergebenst, die vom Gemeindekirchenrat getroffenen Verfügungen rückgängig machen zu wollen und zu veranlassen, daß die Herrn Pfarrer Kaiser zu Unrecht gemachten Vorwürfe zurückgenommen werden.

Mit ehrerbietigster vorzüglicher Hochachtung

(es folgen Namen und Adressen von 28 Bürgern aus Halensee)“ 12


11.    Wilmersdorfer Zeitung vom 20. April 1916.
12.    Brief Halenseer Bürger an den Ober-Kirchenrat Voigts vom 14. Januar 1918, Evangelisches Zentralarchiv, Akte 6172.

 

Fortsetzung: Die Zwanziger Jahre