Die Zeit des Wiederaufbaus

Spendenaufruf für den Wiederaufbau der Hochmeisterkirche

Am 16. März 1951 beschließt der Gemeindekirchenrat der Hochmeisterkirche die Gründung eines Bauvereins. Die Aufgabe dieses Bauvereins soll sein, „bei der Beschaffung der für den Wiederaufbau der Hochmeisterkirche und des Gemeindehauses in der Paulsborner Straße 86 erforderlichen Geldmittel, insbesondere der Verzinsung dieser Geldmittel, mitzuwirken und die beschafften Gelder der Kirchengemeinde zur Verfügung zu stellen.“

Im Oktober 1958 - zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Kirche - hat der Bauverein 707 Mitglieder - eine Zahl, die später nie wieder erreicht wird. Dieser Bauverein existiert bis zum Jahre 1969 und stellt für die Abzahlung der Schulden insgesamt 118.000 DM zur Verfügung.

Entwurf für den Wiederaufbau

Am 1. Advent 1953 beginnt mit einer Feier in der noch zerstörten Kirche der Wiederaufbau. Die Bauleitung hat anfangs Architekt Rettig, später Architekt Welzel. In sechs Bauabschnitten, die sich aus finanziellen Gründen über fünf Jahre hinziehen, ist der Wiederaufbau der Kirche schließlich im Herbst 1958 abgeschlossen. Die neue Schuke-Orgel wird erst im Jahre 1959 installiert und in einem Feiergottesdienst im August in Betrieb genommen. Die Gesamtkosten der Wiederherstellung betragen - einschließlich Orgel - etwa 475.000 DM.

Aus Kostengründen kann die Turmfront nicht in der ursprünglichen Form restauriert werden. Die beiden dreieckigen Seitenanbauten auf der Höhe der Turmuhr und die vier kleinen Türmchen darüber werden einfach weggelassen. Da auch die Außenmauern nicht restauriert werden, kann man an der Farbe der Bausteine noch heute die fehlenden Teile erkennen. Zwar handelt es sich nur um Ausschmückungen ohne weitere baulich wichtige Funktion, der Gesamteindruck wird davon jedoch beeinträchtigt. Die kleinen Anbauten gaben der Kirche ein insgesamt besser proportioniertes Aussehen.

1. Advent 1953: Feier zum Begin des Wiederaufbaus

Über die Stimmung in der Gemeinde während dieser Zeit schreibt Frau Schramm, langjähriges Mitglied des Gemeindekirchenrates, in einem Aufsatz zum 60jährigen Jubiläum der Hochmeisterkirche:

„Mancher in der Gemeinde wurde ungeduldig, und unverbesserliche Pessimisten glaubten überhaupt nicht mehr an eine Vollendung. Aber wer die vielen Sitzungen des Gemeindekirchenrats, in denen man vor lauter Baufragen zu nichts anderem kam, mitgemacht hatte, wer diesen gewaltigen Papierkrieg, der bei jedem einzelnen Bauabschnitt von vorn begann, den immer wieder stockenden Zustrom der notwendigen Gelder, die Schwierigkeiten mit den Handwerkern, denen man ganz hübsch auf die Finger sehen musste, wenn Sie dies alles gesehen hätten, würden Sie sehen, daß es an mangelndem guten Willen oder Trägheit der zuständigen Leute in der Gemeinde wirklich nicht gelegen hat.“ 31

Richtfest

1951 tritt Pfarrer Kaiser in den Ruhestand, sein Nachfolger wird Pfarrer Arthur Borchers. 1956 wird Pfarrer Zunkel pensioniert. An seine Stelle tritt Pfarrer Horst Dingfinger, der jedoch bereits nach einem halben Jahr plötzlich verstirbt. Ihm folgt Pfarrer Söhngen und bleibt bis zum Jahre 1964 an der Hochmeisterkirche.

Am 31. Oktober 1958, dem Reformationstag, wird die Hochmeisterkirche durch Bischof Otto Dibelius wieder eingeweiht. Die Kirche hat wie zuvor ungefähr 700 Plätze, die Gemeinde umfasst 28.000 Mitglieder. Wie bei der Einweihung im Jahr 1910 wird das Lied Eine feste Burg ist unser Gott gesungen.

 

Richtfest

Bischof Dibelius geht in seiner Predigt auf den Namen der Kirche ein. Er stellte fest, dass es wahrscheinlich auf dieser Welt keine zweite Kirche mit dem Namen Hochmeisterkirche gibt. Und es gelingt ihm sehr gut, eine Brücke zu schlagen zwischen dem Namen Hochmeister und dem evangelischen Glauben:

„Eine evangelische Rechtfertigung für diesen Namen kann nur abgeleitet werden von der Person des letzten Hochmeisters des deutschen Ritterordens, Albrecht von Hohenzollern-Ansbach, der aus dem deutschen Ritterorden das Herzogtum Preußen gemacht hat, indem er sich zum evangelischen Glauben bekannte. Aber so sehr das damals ein innerlich begründeter Vorgang war und so gewiss dieser letzte Hochmeister ein Mann von tiefer evangelischer Überzeugung war, so würde das vielleicht noch keine Rechtfertigung dafür sein, eine Kirche in Berlin nach ihm zu nennen.

Die Kirche im Wiederaufbau
Immerhin ist es dieser Mann gewesen, der ganz Ostpreußen evangelisch gemacht hat. Und noch eine andere Erinnerung heftet sich, nicht direkt, aber indirekt, an seinen Namen, die in unserer Kirche vierhundert Jahre nachgewirkt hat: Dieser Albrecht war zum evangelischen Glauben gekommen unter der Kanzel eines Nürnberger Predigers, Andreas Osiander, dem er sein Leben lang auf das Engste verbunden blieb. Als Andreas Osiander sich in Nürnberg nicht mehr halten konnte, rief er ihn in das evangelisch gewordene Königsberg. Osiander trat seine Tätigkeit an mit einer Disputation über das Thema: Gesetz und Evangelium. Und dieses Thema hat unsere evangelische Kirche mehr als vierhundert Jahre lang beschäftigt. Es spielt auch in unserer Zeit noch eine Rolle, so daß Männer wie Karl Barth aus Basel oder der Kirchenrechtslehrer Johannes Heckel in München und andere darüber ihre Bücher geschrieben haben, weil es sich bei dieser Frage um das rechte Verständnis von Martin Luthers Reformation überhaupt handelt.“32

Von der Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Evangelium kommt Dibelius auf das Problem der Schuld, die auf Deutschland lastet. Er zitiert die große Losung der deutschen Reformation: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Worte, allein durch den Glauben.“. Er fährt fort:

Reformationtag 1958: Die Predigt im Gottesdienst zur Wiedereröffnung hält Bischof Dibelius.
„Der Christ sagt: Es war meine Schuld. Aber ich habe einen Gott der Gnade und der Vergebung. Vor den bin ich hingetreten, und der hat meine Schuld durchgestrichen! - Als unsere Kirchen im Jahre 1945 in der Gemeinschaft der anderen christlichen Kirchen der Welt ein solches Schuldbekenntnis abgelegt haben, da haben die anderen uns im Namen Jesu Christi gesagt: Nun ist es gut. Gott hat vergeben. Was wären wir für Christen, wenn wir nicht das gleiche tun wollten!

 Um ein anderes Beispiel zu erzählen, muss ich den Namen Bismarcks nennen: Bismarck sitzt als junger Gesandter an der Hoftafel dem alten Wrangel gegenüber, mit dem er einen schweren Streit gehabt hat. Beide reden kein Wort. Schließlich fängt der alte Wrangel an, über den Tisch herüber zu sagen: ‚Mein Sohn, kannst Du nicht vergessen?’ Bismarck sagt: ‚Nein!’ Nachdem sie wiederum lange geschwiegen haben, fängt Wrangel von neuem an: ‚Mein Sohn, kannst Du nicht vergeben?’ Da streckt Bismarck ihm die Hand über den Tisch entgegen und sagt: ‚Von Herzen gern!’ Er war ein Christ.“32

Bischof Dibelius zusammen mit Pfarrer Borchers beim Verlassen der Hochmeisterkirche.
Diese Predigt lässt sich auf verschiedene Art und Weise verstehen. Man könnte sie als eine Lossprechung von Schuld verstehen, was dem Wunsch vieler Menschen dieser Zeit sicher entsprochen hat. Man kann sie aber auch verstehen als Unterscheidung zwischen Vergeben und Vergessen. Und das heißt dann: Wer wirkliche Reue zeigt, dem wird seine Schuld vergeben. Er soll aber damit nicht den Grund seiner Schuld einfach vergessen.

In diesem Sinne lässt sich auch die Tafel vor unserer Kirche lesen, die an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 erinnert. Auch im Bereich der Hochmeisterkirche, in der Markgraf-Albrecht-Straße, stand eine Synagoge - der Friedenstempel -, die in dieser Nacht den Flammen zum Opfer fiel. Es geht nicht darum, immer wieder aufs Neue einen Schuldvorwurf zu machen; aber es geht darum, an die Schuld zu erinnern, auf dass sich Ähnliches nie mehr wiederhole.

Drei Pfarrer an der Hochmeisterkirche: Heinz Jensch, Friedrich Zunkel und Arthur Borchers (v.l.n.r.)

34.    Vortragsmanuskript von Ursula Schramm, Archiv Hochmeisterkirche.
35.    Predigt von Otto Dibelius zur Wiedereinweihung der Hochmeisterkirche am 31. Oktober 1958, Archiv Hochmeisterkirche.

 

Fortsetzung: Die Sechziger Jahre